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Jubiläum

Beitragvon Michael » Sa 6. Jun 2009, 12:40

Zur Abwechslung einmal ein Literaturthema:

Heute ist der 150. Geburtstag des bedeutenden, leider allzu früh vergessenen „Halbdichters“ Eugen S. Monkwitz, geb. 6.6.1859 in Kotzman (Bukowina), gest. 28.8.1914 in Wien.

Sein Selbstverständnis als Literat drückte er in dem Satz aus: „Ich bin halb Dichter, halb Mensch.“ Daraus erklärt sich auch das von ihm selbst eingefügte „S.“ in seinem Namen: Es steht für „Semipoet“.

Als Mensch folgte er dem Schiller-Satz „Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“ und verspielte beim Tarock in Wiens Kaffeehäusern konsequent sein ganzes Vermögen, das ihm sein Vater, ein erfolgreicher Schmuckknopffabrikant, hinterlassen hatte.

Seine Tätigkeit als Dichter hingegen nahm er bitter ernst. Das war kein Spiel. In seinem „Nachtbuch“ (ein Tagebuch führte er nicht, da er bei Tage schlief) findet sich die Bemerkung: „Ob ich für Lou einen Vers dichte oder für Gretl ein tropfendes Wasserrohr – beides ist mir heilige Handlung wie dem Lakotapriester das Schwitzhüttenritual.“

„Gretl“ war seine langjährige Zimmerwirtin Margarethe Huflacek, deren uneheliche Tochter Sidonie „keinen Vater hatte“, wie es offiziell hieß (das Zahlen von Alimenten erschien Monkwitz allzu kleinbürgerlich).

Mit „Lou“ ist Lou Andreas-Salomé gemeint. Für sie empfand Monkwitz zeitlebens eine tiefe Verehrung, der sich einige der schönsten Liebesgedichte deutscher Sprache verdanken, wie etwa dieses:

Denk ich an Dich, Du meine Hirschkuh Du –
Lou!
So spüre ich gleich einem Achtzehnender
Den Ständer!


Monkwitz gilt überdies als „Vater“ der Lallographischen Dichterschule in Wien, der er selbst jedoch nie angehörte. Begründet wurde sie 1913 durch Joseph Gödöly und Hermann Niederwurzer, Initialzündung war Monkwitz’ Gedicht „Die Geburt der Welt“:

Lall!
Schwall!
Schwall wallt Lall!
Lall lullt!
Lull Schwall, Lall!
Lall lullt Mull.
Mull schwallt.
Schwall lullt All.
All ballt: Knall!
All drall.

Dull!


Diese Verse sind ein kosmologischer Protest gegen Hörbigers „Welteislehre“, der hier erstmals ausgesprochene Gedanke wurde erst lange nach Monkwitz’ Tod durch die Arbeiten von Georges Lemaître und Edwin Hubble wissenschaftlich bestätigt und findet heute als „Urknall-Theorie“ allgemeine Anerkennung.

Bereits im Juni 1912 konstatierte Monkwitz’ Hausarzt eine weit fortgeschrittene Leberzirrhose und gab ihm noch wenige Wochen zu leben. Visionär, der Monkwitz seit früher Jugend war, erklärte er daraufhin: „Ich werde noch zwei Jahre leben, um den Beginn des Ersten Weltkrieges nicht zu versäumen, damit ich sagen kann: Ich bin dabei gewesen!“

Am 28. August 1914, dem Tag des Kriegsbeginns, legte er sich zufrieden auf ein eigens hergerichtetes Feldbett und starb.

Sein heutiger 150. Geburtstag ist sicher ein würdiger Anlass, an diesen berühmten, wenn auch weitgehend unbekannten Künstler wieder einmal zu erinnern.
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von Anzeige » Sa 6. Jun 2009, 12:40

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Re: Jubiläum

Beitragvon compuexe » Sa 6. Jun 2009, 13:35

Ein würdiger Nachruf, wie ich finde! :mrgreen:
Das Böse triumphiert allein dadurch, dass gute Menschen nichts unternehmen.
Edmund Burke
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compuexe
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